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...als Rabe aus ihrem Traum erwachte, war sie glücklich. Sie war froh, wieder bei Wolf und Schildkröte und all den anderen Freunden zu sein.

Sogleich erzählte sie ihnen von ihrem neuesten Traum, in dem sie Menschen gesehen hatte, die im Sonnenlicht spielten. Sie lebten in einem Land mit gewaltigen Bergen und majestätischen Flüßen. Tulugaq hatte gesehen, wie die Menschen sich nach einem langen Tag mit warmen Decken in herrlichen Häusern zum Schlafen niederlegten. In diesen Häusern brannte ein Feuer, es knisterte und sorgte für Gemütlichkeit. Nahe beim Feuer saßen weise Älteste und erzählten Geschichten.

Das, was Tulugaq ihnen da erzählte, verwunderte alle ihre Freunde sehr, denn keiner von ihnen hatte Träume, an die er sich erinnern konnte. Und die wunderbaren Dinge, von denen Rabe sprach, konnten sie sich nicht vorstellen. Denn dort, wo sie lebten, war nichts. Absolut nichts. Tulugaq sprach von Licht, aber sie hatten keine Ahnung, was Licht sein könnte.

In vielen weiteren Träumen sprach Rabe von Dingen, die Wasser und Wind, Feuer und Eis hießen. Was etwa mochte ein Berg sein ? Sie kannten all das nicht, denn wo sie wohnten, war alles leer, still und dunkel.

Alle Freunde von Rabe lebten in dieser Welt des Nichts. Jedes Insekt, jeder Stein, jedes Tier, jede Pflanze und jeder Vogel – alle. Sie spührten einander und konnten die Gedanken und Freuden der anderen fühlen, aber das war alles.

Rabes Traumbilder beunruhigten einige ihrer Freunde, doch andere fragten jedes Mal, wenn Rabe erwachte, was sie geträumt hatte. Und dann kamen alle in der Welt ohne Licht oder Laut zu einem großen Kreis zusammen und hörten von den wundevollen Dingen aus Tulugaqs Traumreisen.

Rabe erzählte mit ihrer melodischen Stimme von einem riesigen runden Haus. Menschen waren darin versammelt und tanzten um ein lebendiges flackerndes Feuer. Es war magisch und wunderbar ! Das Knistern des glühenden Feuers und der Geruch des aufsteigenden Rauchs machten alle sehr glücklich und sie warteten ehrführchtig darauf, das Rabe mit ihren Geschichten fortfuhr über die unglaublichen Dinge, von denen sie selbst in ihrem Reich der Stille und des Schattens nichts wussten.

Rabe sprach weiter von ihrem lebendigen Traum, wie alle um das lodernde Feuer tanzten. Und zwischen den Menschen stand eine einzelne Gestalt. Eine kleine, uralte Großmutter, in einem wunderschönen, langen Umhang aus blauschwarz glänzenden Federn. Großmutter trug eine bemahlte Trommel, auf der sie langsam und rhythmisch den Takt schlug. Sie erklährte ihren Kindern, dass sie ein heiliges Medizinlied für Gesundheit und Demut singen werde und ermahnte sie, nie zu vergessen, was sie zu ihnen sang. Dann begann sie mit der allerschönsten Stimme eine einfache, aber kraftvolle Melodie zu singen :

 

Uuh-hu uuh-hu uuh-hu ….

 

Die Menschen folgten dem Rhythmus von Großmutters Lied und begannen zu tanzen und sich im Kreis um das Feuer zu drehen. Mit jeder neuen Runde brannte das mächtige Feuer heller und jeder wurde ein Teil dieses lebendigen Liedes von Großmutter.

Im Donnerschall des Liedes stand die kleine Großmutter in ihrem langen Umhang aus schwarzen Federn in der Mitte beim Feuer und sang ihr magisches Lied :

 

Uuh-hu uuh-hu uuh-hu

 

Als Rabe aufwachte, war sie wieder zu Hause bei ihren Freunden, im Nichts.

 

Ihre Freunde waren zuerst sprachlos vor Staunen über Tulugaqs Traumgeschichte. Dann begannen alle im Kreis zu schwatzen. Es war Kojote, der vorschlug, sie könnten doch ihren eigenen Tanz veranstalten, und wenn Rabe so freundlich wäre, das Lied zu singen, das Großmutter im Traum gesungen hatte, würden sie sicherlich Spass haben.

In ihrer Welt des Nichts gab es keine Trommel, aber Wal war damit einverstanden, seinen riesigen Schwanz im Rhythmus von Rabes Lied zu schlagen.

Alle waren ganz aufgeregt. Und obwohl es kein Feuer gab wurden alle von Kolibri und Wildrose langsam im Kreis geführt, während Rabe Großmutters Lied sang :

 

uuh-hu uuh-hu uuh-hu

 

Und alle hatten viel Spass! Es dauerte nicht lange und jeder tanzte auf seine Weise, genau wie es die Menschen in Tulugaqs Traum getan hatten. Frosch hüpfte, während Schlange sich in Wellen schlängelte. Felsen rollte, während Gras sich graziös neigte. Das war das wunderbarste, das sie je erlebt hatten.

Zuerst bemerkte es niemand, aber als sie dann im Kreis der Freunde immer schneller und immer schneller tanzten, erwuchs etwas aus ihrer Mitte und wurde immer größer. Jedes Mal, wenn eine Runde beendet war und eine neue begann, leuchtete es heller und heller  - Rabe erkannte es als das Feuer des großen Zeremonienhauses, das sie in ihrem Traum gesehen hatte.

Alle Freunde waren verblüfft . Sie konnten einander auf einmal sehen. Auch fühlten sie die Wärme des Lichts in ihrer Mitte, und es wurde ihnen bewußt, das es in der Welt des Nichts immer kalt gewesen war.

 

Otter hatte immer gedacht, er sei flink und stark, aber als er in dem Licht zum ersten Mal Bärs Größe sah, und die Länge von Hirschs Beinen, fühlte er sich ziemlich unbedeutend. Alle waren darüber erstaunt, wie sie aussahen, und sie tanzten weiter und sangen, während das unendliche Licht zwischen ihnen wuchs und wuchs. Rabe dachte wie alle anderen, das es vielleicht so enden würde, wie in ihrem Traum, und dass sie alle ganz plötzlich mit einem Ruck erwachen würden. Aber nun geschah etwas, das anders war als in Rabes Traum :

Ein gewaltiger Donnerschlag ertönte, und das Licht wurde so grell, dass es sie völlig verschlang. Jeder war geblendet.

 

Niemand rührte sich...

 

Es war Falke, der zuerst zu Sinnen kam und sah, wie sich im Licht ein Umriss formte. Und bald konnten alle Freunde von Rabe sehen, wie in ihrer Mitte das allerschönste Wesen aufstrahlte.

 

Es war Donnervogel, die ihre prächtigen Flügel aus Blitzen und Regenbogenflammen streckte, und Donner ertönen ließ, der alle Welten durchdrang. Auf ihrer Brust war die Maske von Großmutter zu sehen – jung und alt, weise und lächelnd sang sie ihr Lied der Schöpfung.

 

Alle Geschöpfe hatten den Wunsch Donnervogel zu folgen, und da sie nun ihren erleuchteten Weg der Schöpfung sehen konnten, der alle Welten sichtbar machte, beschloß ein jeder von Tulugaqs Freunden, sich dort niederzulassen, wo es ihm am besten gefiel.

Wal tauchte in das tiefste Meer, während Adler sich auf den höchsten Bergspitzen zu Hause fühlte.

 

Und ein jeder von ihnen nutzte das ihm geschenkte Leben, um den alten Freunden zu helfen. Fliege opferte sich für Spinne, Spinne für Rotkehlchen, Rotkehlchen für Wildkatze und so weiter und so fort.

 

Maus und Fuchs gruben sich in der Erde ein. Otter jagte Lachse in den Strömen und Flüssen, Luchs fand ihr Lager zwischen den Steinen und Wurzeln, tief im dunklen Wald.

Jeder fand sein geliebtes Zuhause - Rabe war sich nie sicher, wohin sie gehörte oder wo sie sich am wohlsten fühlte : Tundra oder Wald, Küste oder Gebirge.

Oft machte sie sich auf, um die Menschen zu besuchen, die sie in ihrem Traum vor so langer Zeit gesehen hatte.

Besonders gern hatte es Rabe, wenn Großmutter den Kindern das heilige Medizinlied sang oder ihnen die Geschichte von Tulugaqs Traum erzählte :

 

uuh-hu uuh-hu uuh-hu …...

 

 

 

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